01.03.2023
# Gestaltung
Für sein Veloschloss braucht es keine Anleitung

Rico Hungerbühler ist ein Tausendsassa. Er unterrichtet Primarschüler*innen im Werken, arbeitet im Marketing einer Sozialeinrichtung und ist selbstständiger Produktdesigner. Nebenbei zieht er gemeinsam mit seiner Frau zwei Kinder gross. Wie bringt der Absolvent des berufsbegleitenden Lehrgangs Industrial Design HF alles unter einen Hut?
Video: Iris Müller, Fokusclip
Diese Situation kennen alle: Der Wecker wird viel zu spät gehört und anstelle einer erfrischenden Morgendusche hetzt man mit dem Velo zum Bahnhof. Während der Zug pünktlich einfährt, wird in der Hektik ungeschickt mit dem Veloschloss hantiert. Wertvolle Zeit verstreicht. «Ich wollte exakt diesen Vorgang des Abschliessens optimieren», erinnert sich Rico Hungerbühler an seine Diplomarbeit im Rahmen des berufsbegleitenden und sechs Semestern dauernden Studiums zum Industrial Designer.
Er sah er sich mit der Aufgabe konfrontiert, Fehler in einem bestehenden System zu finden. «Ziel der Diplomarbeit war es, ein Produkt zu entwickeln, das einen Mehrwert bietet und keine neuen Schwierigkeiten verursacht», erklärt Rico Hungerbühler. Er entschied sich dafür, dass die Velofahrenden nur den Schliesszylinder an ihrem Gefährt haben. Der Bolzen selbst befindet sich direkt am Boden beim Bahnhof, beim Einkaufszentrum oder beim Schulhaus. «Parkieren, einstecken, fertig!», beschreibt der Erfinder.
So naheliegend wie überraschend
Es dauerte, bis er das perfekte Material für sein Veloschloss fand. Ein textiler Schrumpfschlauch hat für sein Schloss optimal dämpfende, klangreduzierende, abriebfeste und stabilisierende Eigenschaften. Die beste Option ist zudem ein mobiler Bolzen, der durch die Kettenglieder geschoben wird.
Es stellte sich nur noch die Frage, wo das Veloschloss während der Fahrt selbst befestigt ist. Rico Hungerbühler fand die Antwort: «Die Lösung ist so naheliegend wie überraschend. Dank der leichten Vertiefung, die der Schrumpfschlauch verursacht, bleibt das Schloss an Ort und Stelle, gleichgültig wie es am Velo befestigt ist.»


Gestalten ist die Passion von Rico Hungerbühler, seine Profession und sein Alltag. Für die Weiterbildung an der Schule für Gestaltung St.Gallen entschied er sich unter anderem, weil er bei seinem Arbeitgeber ein Design-Team aufbaute und mit psychisch sowie kognitiv beeinträchtigten Personen gemeinsam gestaltete. Er eignete sich das Fachwissen an und ist heute auch als selbstständiger Produktdesigner tätig.
Der Dank an die Partnerin und den Arbeitgeber
Zudem wirkt er im Marketing einer Sozialeinrichtung und unterrichtet eine Primarklasse im Werken. «Sein eigenes Wissen weiterzugeben und zu sehen, wie das Gesagte hängen bleibt und umgesetzt wird, ist etwas vom Schönsten», so Rico Hungerbühler. Solche Fortschritte erkennt er auch bei seinen zwei kleinen Kindern. Für sie stellt er mit dem eigenen 3D-Drucker Materialien wie Schrauben her. «So können sie basteln, etwas zusammenbauen.» Praktisch für ihn ist, dass der Umgang mit 3D-Druckern auch Teil des Unterrichtsstoffes während des Studiums war.
Die sechs Semester meisterte er mitsamt den Herausforderungen im Familien- und Berufsleben. Er sei seiner Partnerin und dem Arbeitgeber für die Unterstützung während dieser intensiven Phase enorm dankbar. Er habe gelernt, dass «Herausforderungen keine Bergen sind, die vor dir stehen, sondern Klippen, die du umschiffen kannst.» Vom Umfang her sei das berufsbegleitende Studium auch absolut machbar.
Leicht verständliche Kost
Dass er bei seinem heutigen Pensum nebenbei noch Zeit findet, um für die aktuellen Lehrgangs-Teilnehmenden des Industrial Design HF als Mentor zu fungieren, beeindruckt. Es ist Ausdruck davon, wie sehr er sich in der Welt der Design-Berufe wohl fühlt. «Im Fokus steht bei mir immer das Endprodukt, das schöner und besser sein soll. Der Weg dahin ist es, der mir Freude bereitet», sagt Rico Hungerbühler.
Noch immer ist ihm ein Ratschlag von seiner Zeit bei Lehrgangsleiter Markus Pawlick ganz präsent. Wenn er bei einem Produkt zu einer langen Erklärung ausholen müsse, dann gelte es dessen tatsächlichen Mehrwert zu hinterfragen. «Im Design kommt es darauf an, dass es von allen leicht verstanden wird. Das Produkt muss so gut gestaltet sein, dass es keine Bedienungsanleitung mehr benötigt», so Rico Hungerbühler, dessen Veloschloss sich in weniger als fünf Minuten bestens erklären lässt.