Die Modeszene auf den Kopf gestellt – in Dietlikon ZH
Jürgen Teller hat die traditionelle Modefotografie auf den Kopf gestellt. Er porträtiert Supermodels wie Kate Moss und Claudia Schiffer oder Nirvana-Sänger Kurt Cobain lieber ungeschminkt und selten in eleganten Posen. Vom deutschen Starfotograf hat sich Roman Schürch für seine Semesterarbeit im Lehrgang Fotografie HF inspirieren lassen. Alles über das Studium an der Schule für Gestaltung St.Gallen erfährst du hier.
Dietlikon, die Gemeinde in der Agglomeration des Zürcher Nordens. Der Blick von der Autobahn schweift auf omnipräsente Leuchtreklamen. Hier befinden sich Möbelgeschäft, Kinderspielwarenladen und Erotikmarkt in Gehdistanz. «Dietlikon führt so viel zusammen, was gar nicht zusammengehört», sagt Roman Schürch. Bereits bevor er sein Studium Fotografie HF im August 2022 begann, widmete er sich intensiv diesem Industriequartier. Diesmal entstand eine Bildserie unter schulischen Vorgaben.
In der Postmoderne steht nicht die Innovation im Mittelpunkt des (künstlerischen) Interesses, sondern eine Rekombination oder neue Anwendung vorhandener Ideen. Die Studierenden haben sich mit ihren Idolen und deren Bildsprachen auseinandergesetzt. Sie haben sich prozesshaft eine Sprache angeeignet mit der sie sich selbst reflektieren. «Es war inspirierend, dass ich mich mit Jürgen Teller auseinandersetzen konnte», so Roman Schürch.
Die Modeszene revolutioniert
Jürgen Teller ist jener deutscher Fotograf der seit 1986 in London lebt und arbeitet, um der Wehrpflicht zu entgehen. Berühmt ist er aufgrund seiner Porträts von Nirvana-Rocker Kurt Cobain oder Model Kate Moss. Gearbeitet hat er schon für Hugo Boss und Comme des Garçons. Er revolutionierte die Modeszene, weil er seine Idee einer unperfekten Schönheit konsequent verfolgt. Er setzt kein perfektes Styling in Szene, sondern lässt Narben sichtbar.
Roman Schürch arbeitete für seine Bildserie mit Isaura Moser zusammen, eine ausgebildete Schauspielerin. «Ich kannte die Locations in Dietlikon bereits gut. Diesmal habe ich sie nun mit einer Begleitung besucht, weshalb ich mehr Regisseur als wie üblich der zurückhaltende Beobachter war», schildert Roman Schürch. Er setzte sich also zusätzlich mit seinem Model vor der Kamera auseinander. Es sei von Vorteil gewesen, dass sie ihre eigenen Vorstellungen äusserte. «Wir spannen die Grundidee gemeinsam weiter. Es entstand eine Dynamik.»
Spontanität statt Kontrolle
Gemacht wurden die Fotos in einem Spielwarengeschäft für Kinder, einer Tiefgarage oder draussen in einer abgelegenen Ecke eines Möbelhauses. Einen fixen Ablauf verfolgte Roman Schürch dabei nicht: «Alles sollte so spontan wie möglich sein. Rein, Foto schiessen und nach wenigen Minuten zur nächsten Location.» Die Aufnahmen widerspiegeln diese angestrebte Improvisation. Starr an einer Idee festzuhalten, hätte Kontrolle bedeutet. «Und wenn du kontrollierst, dann gibst du dich der Situation hin.»
Darunter gelitten hätte vielleicht der Humor, den Lehrgangsleiterin Désirée Good in den Bildern von Roman Schürch schätzt. «Du erkundest dieses Quartier und verknüpfst deine Entdeckungsreise mit einer Modegeschichte. Man sieht, dass die Zusammenarbeit mit Isaura Moser harmoniert», beurteilt Désirée Good. Ihr Co-Lehrgangsleiter Christian Schnur attestiert: «Es ist eine sehr modische Arbeit geworden, obwohl die Wahl der Jacken zufällig wirkt.»
Purer Idealismus
Christian Schnur mag am deutschen Starfotografen Jürgen Teller dessen Neugierde und freche Art. Eine Bildsprache, die Roman Schürch durchaus für sich selbstinterpretieren kann. Das abgelichtete Plüscheinhorn beweist es. Roman Schürch sagt, dass die Fotografie für ihn im Verlaufe der Jahre an Wichtigkeit gewonnen habe. Mit dem berufsbegleitenden Studium will er «aufs Ganze gehen und sowohl Wissen als auch Können aufbauen.» Er hat sich aus purem Idealismus für die Weiterbildung entschieden und nicht aus finanziellen und ideologischen Gedanken.