Mehr oder weniger Stau? Was bringt der Autobahnausbau?
Die Schweizer Stimmbevölkerung entscheidet am 24. November 2024 über den Ausbau der Nationalstrassen. Am GBS St.Gallen diskutierten Politiker/-innen, ob ein Ja den Verkehr entlastet. Die Lernenden erlebten eine vorbildliche Debattenkultur und nehmen nun einen Rucksack voller Argumente mit.
Ihr wichtigstes Anliegen brachte Nationalrätin Franziska Ryser (Grüne) am Ende der vierten und letzten Debatte über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen zum Ausdruck: «An alle, die abstimmen dürfen: Beteiligt euch und geht an die Urne», forderte sie die Lernenden in der Aula des GBS St.Gallen auf. Die spannenden Diskussionen wurden während des ABU-Unterrichts durch den Verein «Discuss it» ermöglicht, der Politik für Jugendliche erlebbar macht und zur politischen Bildung beiträgt.
Nachdem sich die Lernenden bereits im Unterricht eingelesen hatten, wurde ihnen vor den Diskussionsrunden nochmals die Ausgangslage erläutert: Um Staus auf den Nationalstrassen zu reduzieren, soll die Autobahn an sechs spezifischen Abschnitten ausgebaut werden. Unter anderem ist eine dritte Röhre des Rosenbergtunnels auf der A1 bei St. Gallen geplant. Bundesrat und Parlament empfehlen beide, die Vorlage mit den sechs Ausbauprojekten und den damit verbundenen Kosten von 4,9 Milliarden Franken anzunehmen. Das Geld stammt aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds.
Sind die Milliarden sinnvoll eingesetzt?
FDP-Kantonsrat Oskar Seger hält die Ausgaben für sinnvoll: «Mit dem geplanten Autobahnausbau können wir dem Stau entgegenwirken. Die geplanten Projekte bedeuten nur ein kleiner Eingriff ins System, der jedoch wertvoll ist. Der Ausbau betrifft nur drei Prozent des gesamten Autobahnnetzes in der Schweiz.»
Franziska Ryser hingegen würde das Geld lieber sparen und «in wichtige, intelligente und nachhaltige Verkehrsmassnahmen investieren, die ein Verkehrssystem ermöglichen, das den Klimazielen entspricht»
Auch für den ehemaligen SP-Kantonsrat Ruedi Blumer steht fest, dass das Mobilitätsverhalten angepasst werden müsse. Der ehemalige Präsident des VCS Schweiz plädierte einerseits dafür, dass Autofahrer/-innen mehr Fahrgemeinschaften bilden. Andererseits warb er, aufs Velo, den Bus und den Zug umzusteigen. «Das Velo kann auch im ÖV mitgenommen werden», merkte er an.
Günstigere Zugtickets?
Ein Lernender warf daraufhin die Frage auf, ob Zugbillette künftig erschwinglicher würden. SVP-Kantonsrätin Sabina Revoli zeigte sich skeptisch: «Ich glaube nicht, dass die Ticketpreise in naher Zukunft sinken werden. Der Bundesrat hat kürzlich Sparmassnahmen beschlossen, um den Bundeshaushalt zu entlasten.» Sie habe Mühe damit, wenn der Individualverkehr und der Öffentlichen Verkehr gegeneinander ausgespielt werden. Der Bund investiere auch in die Bahninfrastruktur, was nicht vergessen werden sollte.
Sabina Revoli wies darauf hin, dass viele Personen, die in ländlicheren Gebieten wohnen, aufs Auto angewiesen seien. «Gerade wenn sie Schicht arbeiten. Auf dem Land haben nicht alle eine Bushaltestelle in Gehdistanz», begründete sie.
Mehr oder weniger Stau?
Der ÖV war in allen Diskussionsrunden ein Thema. Auf die Frage eines Lernenden, ob ihm eine Alternative zum Autobahnausbau vorschwebe, die man sofort umsetzen könne, entgegnete Marco Da Molin von der SP Stadt St.Gallen: «Man muss ehrlich sein: Keine Lösung wirkt von heute auf morgen.» Auch die Anpassung des Fahrplans im öffentlichen Verkehr oder verkehrsberuhigende Massnahmen in Wohnquartieren würden Zeit benötigen.
Ein Blick auf die Statistik des Bundesamts für Strassen (ASTRA) zeigt, dass 2023 auf den Schweizer Nationalstrassen fast 50'000 Stunden Stau gemessen wurden. Diese Verkehrsüberlastung lässt sich auf das gestiegene Verkehrsaufkommen zurückführen, das sich im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt hat. Marco Da Molin kommentierte dazu: «Der Stau wird sich nach dem Ausbau verschieben und an einem anderen Ort neu bilden. Wenn der Verkehr flüssiger wird, werden zudem mehr Personen das Auto statt den ÖV nutzen.» Dem hielt Oskar Seger entgegen, dass die dritte Gubrist-Röhre bei der Nordumfahrung Zürich nachweislich eine Entlastung für die umliegenden Gemeinden gebracht habe.
Und was ist mit der Umwelt?
Auch die Auswirkungen auf die Umwelt kamen zur Sprache. Die Gegner der Vorlage befürchten durch einen Ausbau der Autobahnen höhere Luftverschmutzung und CO2-Emmissionen. Oskar Seger sieht die Klimaziele jedoch nicht in Gefahr: «Die durch den Strassenverkehr verursachten Emissionen nehmen dank effizienterer Fahrzeuge und alternativer Antriebe weiter ab.»
Marco Da Mal Molin verwies in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Teilprojekt, das bei einem Ja in St.Gallen geplant wäre: Der Zubringer Güterbahnhof soll künftig den Verkehr von der Autobahn A1 ins St.Galler Stadtzentrum führen. Vom Güterbahnhofareal soll zudem ein weiterer Tunnel zur Liebegg gebaut werden. «Das Projekt ist schädlich für Klima und Biodiversität», hält er fest. Die Gegner schätzen die CO2-Belastung durch den Bau auf 450'000 Tonnen.
Einig waren sich die Politiker/-innen unabhängig ihrer politischen Ausrichtung bei einem Punkt: Das Auto dürfe nicht verteufelt werden. «Wir sollten aber noch stärker in den ÖV investieren, gerade in günstigere Angebote für Jugendliche», befand Ruedi Blumer.